Hoffnung ist Lebenswille

Im aktuellen KUCK sprachen wir mit dem Futurologen und Co-Präsidenten der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung Dr. Andreas M. Walker über „German Angst“ und Dankbarkeit. Einige Auszüge.

Was bedeutet Dankbarkeit für Sie? Was braucht es, um dankbar zu sein?
Ich glaube, dass unsere Gesellschaft im Moment auf einem sehr schwierigen Weg ist. Sehr vieles wird von Gefühlen abhängig gemacht: ich fühle mich gut, ich bin zufrieden, ich fühle mich glücklich, ich fühle mich satt. Diese Emotionen sind ein schwieriges Konzept. Hoffnung wie auch Dankbarkeit sind eben keine Gefühle, sondern Haltungen oder um ein ganz altmodisches Wort zu nutzen – es sind Tugenden. Dankbarkeit braucht es, damit wir erkennen, was wir haben und dass wir bereit sind, das wertzuschätzen. Hoffnung bedeutet dabei auch, dass wir erkennen, welche Chancen und Möglichkeiten wir haben. Und dass wir dann auch bereit sind, diesen Weg zu gehen. Das hat viel mit unserem Bewusstsein zu tun.

Bildnachweis: Dominik Plüss

Wie beeinflusst Dankbarkeit unser Leben und unsere Zukunft?
Der ganze Fachbereich der positiven Psychologie ist vom amerikanischen Psychologen Martin Seligmann, etwa vor rund 20 Jahren neu initiiert worden. Der populäre Weg davon ist die sogenannte Glücksforschung. Vieles davon kennen wir in Europa eigentlich schon von Viktor Frankl her. Wir stellen fest, dass es sich nicht um isolierte Konzepte handelt, sondern dass wir so etwas wie positive und negative Spiralen finden. Ob wir Beziehungen leben wollen, ob wir dankbar, hoffnungsvoll oder zufrieden sein wollen – oder wir auf der anderen Seite unzufrieden und frustriert sind, ob wir überall nur Probleme sehen – das sind grundsätzliche Haltungen, die unsere Stimmung als Menschen beeinflussen, dies ist beinahe eine Art Selbstprogrammierung.

Besteht da nicht die Gefahr von Einbildung und Realitätsverlust?
Unser Problem in unserer Gesellschaft ist doch, dass wir die negative Einbildung sofort akzeptieren. Angst, Vorsicht und Kritik akzeptieren wir mit Attributen wie: es ist nötig, vernünftig, brauchbar, gescheit. Negative Haltungen akzeptieren wir also als vernünftig. Die positive Haltung hingegen strafen wir sofort als Einbildung, Illusion oder Naivität ab. In diesem Sinne sind wir eben nicht neutral. Wir werten das Negative positiv und das Positive als negativ.

Woher kommt diese Wertung?
Das wird jetzt spannend und leider kann ich das so nicht abschließend beantworten. Im Umfeld der deutschen Kultur hat das vermutlich relativ viel mit Nietzsche und Schopenhauer zu tun. Das heißt derNihilismus und Dekonstruktivismus gelten als sehr gescheit. Und das ist genauso eine Programmierung. Natürlich ist positives Denken auch eine Programmierung, aber sie funktioniert. Die ständige Kritik, das dauernde Fehlersuchen, das Dagegen sein ist aber eben genauso eine Programmierung, die ebenfalls funktioniert. Wir haben unsere empirischen Studien unterdessen in einem breiten Rahmen, seit bald 10 Jahren und somit mit zehntausenden von Datensätzen erhoben. Spannend ist nun, dass diese Korrelationen wirklich da sind. Also die Korrelation der positiven Haltungen und im Gegensatz die Korrelation der negativen Einstellungen ist wirklich deutlich messbar. Es gibt einen Bereich, in dem wir die positive Haltung, das
positive Denken schon länger akzeptieren: im Mentaltraining für den Spitzensport. Da akzeptieren wir es selbstverständlich, dass diese Sportler gewinnen wollen. Wir wissen auch aus der Medizin und Patientenund Pflegeforschung relativ viel. Wie wichtig es ist, dass ein Patient selbst wirklich gesund werden will und an seine eigene Genesung glaubt, ist gerade im Bereich der Krebsforschung relativ intensiv erforscht. Der eigene Wille und die positive Einstellung gesund zu werden haben einen messbaren Einfluss auf den Erfolg der Therapie.

In einem Ihrer Beiträge schreiben Sie: "Gefühle wie Zufriedenheit oder Dankbarkeit sind der Schweizerischen und Deutschen Kultur irgendwie fremd." Haben wir verlernt dankbar zu sein?
Dies müssten wir nun breiter untersuchen. Im Rahmen unseres eigenen Lebenslaufes stellen wir fest, dass viele unserer Haltungen mitgeprägt werden. Sei es durch die Kita, Kindergärten oder die Schulen. Ich kann kein konkretes Jahr für diesen Wertewandel benennen. Aber ob sie in einem Umfeld aufwachsen, das positiv oder negativ denkt und redet, das macht aus ihrer eigenen Lebensbiografie relativ viel. Das können die eigenen Eltern, Lehrer oder Kita-Betreuer sein. Jedes Kind kommt mit einem großen Lebenswillen zur Welt und diesen Lebenswillen kann man brechen. Das ist der eine wichtige Aspekt. Als ich noch zur Schule ging, da wurden unsere Prüfungen und Hausaufgaben penibel mit Rotstift korrigiert. Meine Französischtexte waren eigentlich immer ein riesiges blutrotes Schlachtfeld. Unsere Fehler sind penibel gezählt und aufgelistet worden. Diese Versagenskultur, Fehlerkultur oder Mangelkultur ist in unseren eigenen Biografien stark drin, für manchen in traumatischem Ausmaß. Dies hinterlässt bereits bei einem Kind Spuren, ob seine Mutter dauernd sagt, dass es etwas sowieso nicht kann, nur im Weg, zu klein oder zu dumm für etwas ist. Hoffnung ist nichts anderes als Lebenswille oder auch Überlebenswille. Diesen können sie bei einem Kleinkind oder auch später in der Schule oder beim Lehrmeister brechen.

Das komplette Interview ist in der aktuellen KUCK-Ausgabe Nr. 44 zu lesen.